Als Seine Majestät der Kaiser huldvoll telegrafierte
"Was wäre wohl geworden, wenn...",
müsste die Frage an die Radevormwalder Geschichte, so wie aus den Aufzeichnungen des Schützenvereins aus dem Kriegsjahr 1914 überliefert, lauten. Was nämlich, wenn der Verein sich nicht wie eine Diva 20 Jahre jünger gemacht hätte.
Es hätte das königliche Telegramm von Richard Dörner, dem amtierenden Schützenkönig, an seine Majestät, den Deutschen Kaiser und König, nicht gegeben. Und auch seine Majestät hätte keine Kenntnis nehmen können vom Jahrhundertereignis in Radevormwald. Niemand wird indes behaupten können, die Kaisertreuen in Radevormwald hätten bewusst geschwindelt, um ihr Ansehen im Bergischen Land zu mehren.
Es ist wohl eher geziemender Bescheidenheit zuzuschreiben, dass der Verein sein Geburtsdatum an der Jahreszahl auf dem ersten Königsorden festgemacht hatte. 1714 stand (und steht noch) drauf. Doch erzählen wir der Reihe nach, welche Rolle der Schützenverein mit dem verbrieften Gründungsdatum 1708 in der Stadtgeschichte spielt.
Unbeantwortet bleibt freilich die Frage, wie alt der Schützenverein denn nun wirklich ist. Älter als 300 Jahre ist er wohl, darauf verweisen ernstzunehmende Aufzeichnungen. Die freilich befördert die Geschichtsschreibung ins Spekulative. Belegt nämlich sind sie nicht. Aus dem Archiv der Evangelisch - Reformierten Gemeinde geht hervor, dass bereits 1565 eine Schützengesellschaft bestanden hat. Die Anfänge des Vereins lassen sich allerdings nicht bis dahin zuverlässig zurückverfolgen.
Die 1933 noch vorhanden gewesene Fahne des Vereins trug die Jahreszahl 1708. Dieses Jahr war dann für die Vorväter das gesichert erscheinende Gründungsjahr. Im Vereinsnamen wird seither diese Jahreszahl geführt. Das älteste Protokollbuch des Vereins beginnt 1828 und schließt 1888. Darunter ist unter dem Jahr 1881 ein Inventarverzeichnis des Vereins erstellt, aus dem hervorgeht, dass Königsplaketten und Silberplättchen bereits seit 1714 vorhanden waren. Diese Plaketten sind ebenfalls heute noch stolzer Vereinsbesitz.
Das Vereinsleben hat nicht ununterbrochen floriert. Es gab zeitliche Pausen, in denen das Schützenwesen gänzlich ruhte. Das war wohl zurückzuführen auf Kriege und Brände. Dem großen Stadtbrand von 1802 fiel ein Teil der alten Schützenunterlagen zum Opfer. Das letzte erwähnte Schützenfest fand 1778 und das darauf Folgende erst wieder 1829 statt. Interessant ist aus dem Protokoll zu lesen, dass "mit einem Taler Strafe dasjenige Mitglied belegt wird, welches beim Schützenfest ohne genügende Entschuldigung den Festzug nicht mitmacht."
1836 musste zweimal ein neuer Fähnrich gewählt werden, weil der Verein in jener Zeit keinen verheirateten Mann als Fähnrich duldete. 1881 wurde ebenfalls sehr groß gefeiert, und zwar gemeinsam mit dem Landwehr- und Kriegerverein sowie mit der Feuerwehr. Damals wie heute also enge Beziehungen.
1886 war wieder einmal Schluss mit Schützenfesten. In einem Protokoll vom 23. Mai 1887 heißt es dazu: "Da die Stadtgemeinde trotz des Einspruchs des Schützenvereins auf dem Schützenfelde ein Haus aufführen lässt, ist der Vorstand der Ansicht, solange, wie wir mit der Stadtgemeinde wegen des Schützenfestes im Prozesse sind, kein Fest zu feiern". Wie lange der Prozess gedauert hat, lässt sich nicht feststellen. Bewirkt hat der Beschluss allerdings, dass das Schützenwesen sehr zurückging und erst zu Beginn des letzten Jahrhunderts aktiviert wurde.
Ab 1910 lässt sich die Reihe der Schützenkönige wieder fortschreiben. Auch in den Schicksalsjahren 1914 und 1933 wurden Schützenfeste gefeiert.Wie auch in vielen Jahren zuvor, wirkten einheimische und auswärtige Kapellen mit. Der Große Zapfenstreich war damals wie heute fester Bestandteil im Programm des Schützenfestes. Ein bisschen wehmütig stimmt heute die Zeitungsnotiz aus dem Jahr 1914, wonach Sonderzüge von und nach Lüdenscheid und Lennep wegen des Schützenfestes verkehrten.
Womit wir dann bei der huldvollen kaiserlichen Anteilnahme wären. Die Kaisertreuen schickten nach dem Königsschuss das folgende Telegramm an den Kaiser. "Eure Majestät bittet ehrerbietigst der Radevormwalder Schützenverein, festlich versammelt zu seiner Jubelfeier 200jährigen Bestehens, vereint im Kreise mit anderen Schützengilden des Bergischen Landes, das Gelübde der Treue und Liebe entgegennehmen zu wollen. Richard Dörner, Schützenkönig , Engelbert Fasbender, Chef."
Daraufhin ging folgendes Antworttelegramm ein: (Radio) Hohenzollern-Norddeich, 7.7.14 " Schützenverein Radevormwald.“Seine Majestät der Kaiser und König lassen für den freundlichen Huldigungsgruß danken. Im allerhöchsten Auftrage: Der Gesandte: Graf von Wedel. " Der Verein hatte, wie zuvor schon beschrieben, sich etwas jünger gemacht und das Gründungsdatum 1714 von der Königsplakette übernommen.
In der Zeitungsanzeige von 1933 ist zum Auftakt des Festes die "große vaterländische Kundgebung im Festzelt" besonders hervorgehoben. Blättert man weiter in den Protokollen, so fallen immer wieder Radevormwalder Namen auf, die sich bis heute erhalten haben. Da ist die Rede von den Familien Fasbender, Finkensieper, Buschhaus, Dörner, Fliege, Lausberg, Sondermann, Hesterberg, Busenbecker, Kleinschmidt, Büchsenschütz, Meskendahl, Harhaus, Hageböcker, Feldermann, Höller, Engstfeld, Hasenburg, Habermann, Flüs. Diese Reihe ließe sich noch lange fortsetzen.
Viele Familien sind bis heute noch mit dem Schützenwesen und damit mit dem Schützenverein Radevormwald 1708 e.V. eng verbunden. Bis zum Jahr 1960 war das Hotel Fasbender Vereinslokal der Schützen. Unzählige Versammlungen, Winterfeste und Bälle fanden in Fasbenders Saal statt. Leider gingen bei einem Hotelbrand 1927 wiederum einige Vereinsutensilien verloren.
Auch in früheren Jahren hat es noch einen weiteren Schützenverein gegeben. Ein Plakat aus dem Jahr 1881 im Stadtarchiv Radevormwald berichtet von einem Schützenfest in Herbeck, das allerdings nicht stattgefunden hat. Bei der Vorbereitung der Kanonenschläge zu Ehren des Schützenkönigs kam es zu einer Explosion, die ein Todesopfer forderte. Das vorbereitete Schützenfest fiel nicht nur aus, sondern danach hat man nie wieder etwas von diesem Verein gehört.
Fahnen als Zeitzeugen
Fahnen, insbesondere wenn sie alt sind, werden von den Vereinen gehegt und gepflegt. Der Schützenverein Radevormwald 1708 e.V. besitzt heute zwei alte Fahnen. Die älteste wurde Ostern 1875 geweiht. Diese Fahne, inzwischen mehrfach restauriert, wird im Schützenhaus aufbewahrt. Die zweite, neuere Fahne, begleitet den Verein bei Allem in Radevormwald. Sie wurde 1958 gefertigt und beim 250. Jubiläumsfest geweiht. Für das "Altertümchen“ musste eine neue Fahne her. Sie wurde am 6. Juni 1993 in einem Festakt auf dem Hohenfuhrplatz geweiht und ist seither eine optische Bereicherung der Festzüge.
Von zwei noch älteren Fahnen ist in den Protokollen die Rede. Die älteste von 1708, über die hier schon berichtet wurde, war 1933 noch im Besitz des Vereins. Nachzulesen ist, dass eine weitere Fahne 1765 angeschafft wurde. Beide Fahnen sind jedoch verschollen.
Über die Mitgliederstärke ist in den Protokollen nur an wenigen Stellen etwas ausgesagt. 1828 ist die Rede von 60 Bürgern, die sich dem Schützenverein angeschlossen hatten, bereits ein Jahr später war die Zahl auf 90 angewachsen. Beide Kriege in diesem Jahrhundert rissen, wie überall, so auch im Schützenverein, große Lücken. Danach ging es immer wieder bergauf. Heute kann jeder Bürger Mitglied im Schützenverein Radevormwald 1708 e.V. werden.
Der Verein ist Mitglied im Bergischen Schützenbund, der 1924 in Radevormwald gegründet wurde. Über viele Jahre hinweg war der Bergische Bund mit dem Namen Hageböcker eng verbunden. Selbstverständlich gehört der Verein zum Rheinischen Schützenbund als dem sportlichen Fach- und Dachverband.. Damit ist gleichzeitig die Mitgliedschaft im Deutschen Schützenbund sowie im Landessportbund Nordrhein-Westfalen verbunden. Ebenso ist der Schützenverein Mitglied im Stadtsportverband und im Kreissportbund.